Blog – Jocelyne Lopez

Austausch mit Dr. Markus Pössel vom 24./26.05.10

Ich beziehe mich auf meine Anfrage vom 28.04.10 an Herrn Dr. Markus Pössel vom Albert Einstein Institut / Max Planck Gesellschaft über eine weitere Klärung von undeutlichen und missverständlichen Aussagen der Speziellen Relativitätstheorie und gebe nachstehend die Antwort von Dr. Pössel wieder:

Von Markus Pössel, AEI/MPG
An Jocelyne Lopez
Datum: 24.05.10
Betr: Bitte um Klärung bzgl. Spezieller Relativitätstheorie

Sehr geehrte Frau Lopez,

Vielen Dank fuer Ihre Mail.
 
Allerdings finde ich Ihre Aussagen zu der angeblichen „wichtige[n] Klaerung“ recht unerfreulich. Dass Sie bei dem Rueckbezug auf meine Aussage, wie er auf den von Ihnen angegebenen Webseiten zu sehen ist, den aus meiner Sicht wichtigsten Teil meiner damaligen Mail, naemlich die Analogie zu Relativgeschwindigkeiten (die sehr wohl objektiv messbar und real sind) unter den Tisch fallen lassen, kommt aus meiner Sicht einer  bedenklichen Verzerrung meiner Aussage gleich.

Ich bin gerne bereit, Ihre neue Frage zu beantworten; bitte haben Sie aber Verstaendnis dafuer, dass ich dazu nach meinen schlechten Erfahrungen mit unserem letzten Briefwechsel erst einmal sicherstellen muss, dass wir ueberhaupt die gleichen Begriffe verwenden.

Daher meine erste vorbereitende Rueckfrage an Sie:

Wie definieren Sie die Relativgeschwindigkeit eines Objekts A und eines Objekts B, die „Geschwindigkeit von A relativ zu B“?

Mit den besten Gruessen
Markus Poessel

 

Nachstehend meine Antwort:

Von Jocelyne Lopez
An Markus Pössel, AEI/MPG
Datum: 26.05.10

 
Sehr geehrter Herr Dr. Pössel,

Vielen Dank für Ihre E-Mail.
Sie schreiben:

„Allerdings finde ich Ihre Aussagen zu der angeblichen „wichtige[n] Klaerung“ recht unerfreulich. Dass Sie bei dem Rueckbezug auf meine Aussage, wie er auf den von Ihnen angegebenen Webseiten zu sehen ist, den aus meiner Sicht wichtigsten Teil meiner damaligen Mail, naemlich die Analogie zu Relativgeschwindigkeiten (die sehr wohl objektiv messbar und real sind) unter den Tisch fallen lassen, kommt aus meiner Sicht einer bedenklichen Verzerrung meiner Aussage gleich.“

Dass Sie eine Klärung über die Natur der Längenkontraktion in der Speziellen Relativitätstheorie als „unerfreulich“ empfinden kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Ich halte sie im Gegenteil für einen entscheidenden Fortschritt im Meinungsstreit über die verschiedenen Deutungen der Theorie. Die Frage über die materielle Realität der Längenkontraktion wurde nämlich in der Theorie selbst von Albert Einstein und von den  wichtigen Autoren der Relativistik recht undeutlich bzw. widersprüchlich behandelt, wie zum Beispiel die Forschungsgruppe G.O. Mueller es in ihrer Dokumentation mehrfach herausgearbeitet hat, zum Beispiel:

http://www.ekkehard-friebe.de/buch.pdf

Seite 3:
Fachliche Verdachtsmomente: Anschein oder Realität

Die Paradoxa – insbesondere das Uhren- oder Zwillingsparadoxon – erweisen sich nur als die Zuspitzung der behaupteten kinematischen Effekte der Längenkontraktion und der Zeitdilatation.

Wendet man sich diesen beiden grundlegenden Effekten zu, so stößt man auf eine Frage, die man bei einer angeblich bestätigten und allgemein akzeptierten Theorie nicht mehr vermuten würde: nämlich ob die behaupteten Effekte wirklich seien oder nur Scheineffekte.

Die Sachlage wird noch bunter dadurch, daß in dieser Frage eine groteske Uneinigkeit der Relativistik-Autoren festzustellen ist, so daß man zweckmäßigerweise besser von zwei Theorien sprechen sollte, von einer Theorie mit Scheineffekten und einer Theorie mit Realeffekten.

Man darf allerdings nicht erwarten, daß die Autoren sich nach reiflicher Überlegung eine begründete Auffassung gebildet, jeder seine Entscheidung in dieser Frage getroffen und sich auf eine der beiden Seiten geschlagen hat. Vielmehr wechseln manche Autoren ihre Entscheidung von einer Darstellung zur nächsten, ohne ein Wort darüber zu verlieren, und viele schwanken in demselben Buch zwischen beiden Positionen hin und her, wie es ihnen gerade gelegen erscheint.

Wenn schon unter den Anhängern der Theorie derartig gravierende Widersprüche auch heute noch bestehen, dann ist dies ein sicherer Hinweis darauf, daß irgendetwas mit der Theorie nicht stimmt.

Seite 86:
Albert Einstein hat 1905 die Längenkontraktion mit eindeutig widersprüchlichen Aussagen eingeführt: mit einer Real-Version und einer Schein-Version.

Die Real-Version findet sich S. 896: die “allgemein gebrauchte Kinematik” (womit er die Newtonsche meint) wird damit charakterisiert, daß sie annimmt, “daß ein bewegter starrer Körper … in geometrischer Beziehung vollständig durch denselben Körper, wenn er in bestimmter Lage ruht, ersetzbar sei.” Diese Identität der Geometrie des Körpers in der Newtonschen Kinematik bei allen verschiedenen Bewegungszuständen hält Albert Einstein für irrig und will sie mit seiner Kinematik-Theorie bestreiten: in der SRT-Kinematik soll der Körper diese geometrische Identität verlieren, weil durch Bewegung oder Ruhe eine reale Änderung des starren Körpers bewirkt werden soll; vom Relativitätsprinzip ist keine Rede.

Eine Schein-Version findet sich S. 903: “Ein starrer Körper, welcher in ruhendem Zustande ausgemessen die Gestalt einer Kugel hat, hat also in bewegtem Zustande – vom ruhenden System aus betrachtet – die Gestalt eines Rotationsellipsoides …” Im übernächsten Absatz wird die Reziprozität ausdrücklich festgestellt.

Dieser Widerspruch zieht sich durch die gesamte Relativistik: jeder Autor kann sich eine Alternative aussuchen. Solange dieser Widerspruch von der Relativistik nicht anerkannt wird und ausgeräumt ist, ist die behauptete Längenkontraktion für die Kritik in keiner der beiden Versionen gültig; es ist nicht Aufgabe der Kritik und auch nicht möglich, den Relativisten zu einer konsistenten Theorie zu verhelfen, deren Hinfälligkeit offenbar ist, und die Kritik wäre auch nicht verpflichtet, vorsorglich beide Versionen zu widerlegen.

Seite 137:
Schein und Sein: AE 1905 wechselt in seinen Aussagen über Längenkontraktion und Zeitdilatation mehrfach zwischen “scheint” und “ist” und pflanzt seiner Theorie damit einen Grundwiderspruch ein. 

Damit trägt Albert Einstein selbst eine Unbestimmtheit in die Theorie, die weder er selbst noch einer seiner maßgeblichen Anhänger jemals ausgeschaltet hat. Die Kritik hat beide Möglichkeiten A (= Anschein) und R (= Realität) widerlegt: (A) wenn die Effekte nur “scheinbar” sein sollen, so könnten sie nicht gleichzeitig als real behauptet werden; (R) wenn die Effekte “real” sein sollen, so können sie nicht nachgewiesen und auch keine Ursachen angegeben werden.
[…]
Autoren der A-Gruppe (Symmetrie, Reziprozität, Anschein der Effekte): H. Dingle; Nordmann; Sexl 1978.
Autoren der R-Gruppe (Asymmetrie, keine Reziprozität, Realität der Effekte): Langevin; McCrea; Rindler: Essential relativity.
Autoren der A/R-Gruppe (alle denkbaren Varianten vermischt): Albert Einstein; Born.

 

Unabhängig von der Klärung von weiteren Fragen ist es also aus meiner Sicht überhaupt nicht unerfreulich, dass Sie diese Frage mit einer Aussage geklärt haben, die ohne weiteren Kontext einen unmissverständlichen Sinn ergibt: „Die Laengenkontraktion geht nicht mit materiellen Veraenderungen des Koerpers einher;”.

Diese eindeutige Klärung ist sogar umso mehr erfreulich, weil ausgerechnet bei dieser Frage der materiellen oder nicht-materiellen Natur der Längenkontraktion eine Verwechselung mit der Äther-Theorie von Antoon Lorentz leider sehr verbreitet ist, was auch in Forendiskussionen ersichtlich ist: Wie Sie wissen setzt Lorentz eine durch den Widerstand eines Äthers verursachte materielle Verkürzung von bewegten Objekten voraus, was nun mal auf gar keinen Fall für die Spezielle Relativitätstheorie von Albert Einstein zutreffen kann. Das musste ja klargestellt werden, eine Klärung war also fällig. 

Alleine durch die deutliche Unterscheidung der beiden Theorien von Antoon Lorentz und von Albert Einstein und die Ausräumung dieser Verwechselung und dieser Missverständnisse war also Ihre Klärung außerordentlich wichtig, nützlich und weiterbringend. 

 

Sie schreiben weiter:

„Wie definieren Sie die Relativgeschwindigkeit eines Objekts A und eines Objekts B, die „Geschwindigkeit von A relativ zu B“?“

Ich definiere sie ganz einfach nach der klassischen Physik als die Addition der jeweiligen Eigengeschwindigkeiten der beiden Objekte (je nach Bewegungs-richtung).  

Unabhängig von jeglicher Definition hatten wir seinerzeit in meinem Strand-Gedankenexperiment eine ganz einfache und anschauliche Konstellation zugrunde gelegt: Vier Beobachter bewegen sich mit verschiedenen Eigengeschwindigkeiten (v1, v2, v3 und v4) direkt frontal relativ zu einer Wasserwelle, die sich wiederum mit einer postulierten konstanten Geschwindigkeit von c = 70 km/h relativ zu jedem einzelnen Beobachter bewegt. Alle Einzelgeschwindigkeiten der Objekte sind definiert. Ich meine, wir könnten für die Weiterführung des Gesprächs bei diesem anschaulichen Beispiel bleiben, das auch jeder Physiklaie verstehen kann, zumal es auch den Vorteil vorweist, als Analogie zu einer Lichtwelle verstanden zu werden – was Sie grundsätzlich akzeptiert hatten. 

Mit freundlichen Grüßen
Jocelyne Lopez