Blog – Jocelyne Lopez

7 – Das Forschungsprojekt G.O. Mueller zieht eine Zwischenbilanz

Nachstehend 7. Abschnitt der bisher unveröffentlichen Arbeit Das Forschungs-
projekt G.O. Mueller zieht eine Zwischenbilanz
, die im Forum von Ekkehard Friebe als Fortsetzungsreihe vorgestellt wird:

Max Planck plant den „Staatsstreich in der Physik“ 1922

Zwei Jahre später drohte die nächste große Gelegenheit für eine öffentliche Diskussion über die beiden Relativitätstheorien Albert Einsteins: im Herbst 1922 sollte nämlich die Jahrhundertfeier der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ) in Leipzig stattfinden. Da einerseits die vernichtende Kritik dieser Theorien nicht aufgehört, sondern sich eher verstärkt hatte, die Theorievertreter andererseits keine überzeugenden Argumente zur Abwehr der Kritik gefunden hatten, drohte den Relativisten eine Neuauflage der Blamage von Bad Nauheim.

Um diese zu verhindern, organisierte der „Reichskanzler der Physik“ Max Planck zusammen mit den anderen Spitzenvertretern der Relativistik bei den Planungen im Frühjahr 1922 einen Boykott und vollständigen Ausschluß der Kritiker aus dem Programm für Leipzig: kein Vortrag eines Kritikers zu den Relativitätstheorien sollte gehalten werden, eine Diskussion über die Theorien wurde nicht vorgesehen. Dafür wurden zwei Jubelvorträge über die Relativitätstheorie angesetzt: Max v. Laue über „Die Relativitätstheorie in der Physik“ und Moritz Schlick über „Die Relativitätstheorie in der Philosophie„.

Damit sollte die bisherige so unbequeme Wissenschaftsfreiheit in der theoretischen Physik abgeschafft und die „Wissenschaftlichkeit“ und Akzeptanz der Relativistik fortan garantiert werden: nur noch Relativisten sollten zu Wort kommen, Kritik wurde abgeschafft, Kritiker galten gar nicht mehr als ernsthafte Wissenschaftler, sondern sollten fortan gebrandmarkt werden als „Außenseiter„, als ausgeschlossene und rechtlose Dissidenten.

Die Leitung der GDNÄ hatte sich dazu hergegeben, ihre beabsichtigte Jubelfeier zum Begräbnis und zur Totenfeier der Wissenschaftsfreiheit auf einem allgemein interessierenden Gebiet umfunktionieren zu lassen. Im Jahr 1922 sollte die wirkliche Revolution in der Physik stattfinden: von jetzt an sollte über die Richtigkeit von Theorien endgültig durch die Mehrheit entschieden werden – und die Minderheit sollte in dieser „Wissenschaft“ überhaupt nicht mehr existieren.

Die Reaktion Lenards auf die geplante Machtergreifung: sein „Mahnwort“ Juli 1922

Sobald die Pläne Plancks für eine kalte Machtergreifung der Relativisten im Frühjahr 1922 bekannt wurden, schrieb der prominenteste Kritiker der Relativitätstheorien, Philipp Lenard, ein „Mahnwort an deutsche Naturforscher„, das er mit „Juli 1922“ datierte und der 2., vermehrten Auflage seines Büchleins „Über Äther und Uräther“ mit auf den Weg gab. Darin antwortet er auf den Plan der Machtergreifung zum ersten Mal in kritischen Veröffentlichungen zur Relativitätstheorie u. a. mit antisemitischen Vorwürfen, die Juden wollten der deutschen Öffentlichkeit die Theorie des Juden Albert Einstein aufzwingen.

Abgesehen von dem inakzeptablen rassistischen Vorwurf schien Lenard dabei völlig zu übersehen, daß der Hauptverantwortliche Max Planck und mehrere seiner Mitstreiter gar keine Juden waren, und daß die effektive Parteinahme der Mehrheit der Physiker für die Relativitätstheorien gar nichts mit dem Judentum Albert Einsteins zu tun hatte, sondern daß sie Einstein dankbar waren für die „Abschaffung“ des Äthers, die sie für endgültig hielten und als endgültig besiegelt sehen wollten.

Die unbestreitbare Mehrheit der Physiker, auf die sich die Relativisten bis heute gern berufen, wünschte damals wie heute die Abschaffung des Äthers um jeden Preis, selbst um den Preis der Wissenschaftlichkeit ihrer Disziplin, die fortan nur noch eine sektiererische Veranstaltung zur Anbetung ihres Ober-Guru und Weltumwälzers und zur Propaganda seiner Dogmen wurde und alle bösen Ungläubigen mit Haß und Verleumdung aus dem Tempel ihrer „Wissenschaft“ vertrieb.

Es ist eine Ironie des Schicksals und zeigt den Geisteszustand dieser Disziplin, daß zu dem Zeitpunkt der endlichen „Abschaffung des Äthers“ durch Ausschluß der Kritiker und Äther-Anhänger im Jahr 1922 ihr Oberguru selbst den Äther schon 2 Jahre vorher, nämlich 1920 (!) in seinem Vortrag in Leiden wieder eingeführt hatte. Dieser Vortrag hat die Physiker nie interessiert, viele kennen ihn gar nicht – wenn man ihre Propaganda-Bücher über die Relativitätstheorie liest. Und daß sie selbst inzwischen sogar an ein „fluktuierendes Vakuum“ glauben, kann sie auch heute noch nicht irritieren.

Die Vorgänge in Leipzig im September 1922

Die Jahrhundertfeier der GDNÄ in Leipzig verlief, wie von Max Planck und seinen Mitstreitern geplant. Während der 1. Vorsitzende Max Planck in seiner Festansprache verkündete: „Sie [die GDNÄ] will immerdar sein eine Stätte der freien wissenschaftlichen Forschung“ (nach: Verhandlungen … 1923, S. 33), ließen die somit nicht mehr „immerdar“ zur „freien wissenschaftlichen Forschung“ gehörenden Theoriekritiker einen Protest-Handzettel gegen den Ausschluß jeglicher Kritikmöglichkeit auf der Straße vor dem Tagungsgebäude verteilen: eine Art erstmaliger „außerparlamentarische Opposition“ gegen die dogmatische theoretische Physik. Zu den 19 Unterzeichnern gehörten neben Nobelpreisträger Lenard mehrere Professoren und Wissenschaftler; vgl. das Referat über den Handzettel in unserer Dokumentation, S. 374 – 375; ferner über die Machtergreifung in Leipzig insgesamt, S. 270 – 275.

In unserer von den Physikern gleichgeschalteten akademischen und akademie-geförderten Wissenschaftsgeschichte wird Leipzig 1922 natürlich auch noch im Jahre 2000 als Triumph der Genies und der endgültig wahren Relativitäts-Lehre über den Dumpfsinn gefeiert (vgl. z. B. Schönbeck, Charlotte: Albert Einstein und Philipp Lenard. Berlin 2000. 42 S. [Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Math.-naturwiss. Kl. 8.]; dort auch eine Abbildung des Handzettels).

Vor diesem Hintergrund ist das Schicksal der Kritiker nicht mehr so verwunderlich: ihre Personen und ihre Veröffentlichungen gelten einfach nicht mehr als existent.

(G.O. Mueller)