Blog – Jocelyne Lopez

Dr. Walter Theimer zur Mathematik und zum Mathematismus

Nachstehend Ausführungen von Dr. Walter Theimer aus seinem Buch Die Relativitätstheorie – Lehre – Wirkung – Kritik  (Seite 174 bis 176) im Zusammenhang mit meiner Anfrage vom 27.06.08 an die Fakultät für Mathematik von 12 deutschen Universitäten, siehe: 2008, Jahr der Mathematik oder des Mathematismus?

—–Zur Kritik des Mathematismus

Den Mathematismus der Relativitätstheorie bringen zwei ihrer Vertreter eindeutig zum Ausdruck.

March:
«Die physikalische Welt ist bis auf den strukturellen Grund entleerte phänomenale Welt, die nurmehr aus einem Skelett mathematisch erfaßbarer Beziehungen besteht.» Die Kritik fragt natürlich sofort: Ist das ein zulässiges Vorgehen? Darf man die phänomenale Welt von den Phänomenen entleeren und nur mathematische Beziehungen übriglassen? Zwischen welchen Phänomenen bestehen dann noch Beziehungen? Woran kann man die Richtigkeit dieser Beziehungen noch kontrollieren? Ist ein reales Denken möglich, ohne Qualitäten zu unterscheiden?

Weyl: «Innerhalb der Physik ist es erst durch die Relativitätstheorie ganz deutlich geworden, daß von dem uns in der Anschauung gegebenen Wesen von Raum und Zeit in die mathematisch konstruierte physikalische Welt nichts eingeht.» Sehr gut charakterisiert; es fragt sich bloß, welche Beziehung zwischen dieser konstruierten und der wirklichen Welt besteht.

Einsteins Mathematikerphilosophie ist eine typische Fachmannsphilosophie. Immer wieder versuchen Mathematiker, Physiker, Biologen und Techniker, eine Philosophie von ihrem fachlichen Horizont her zu konstruieren. Allen ist gemeinsam, daß sie keine systematische philosophische Ausbildung genossen haben; naturgemäß kommt das in ihren Philosophien zum Ausdruck. Die wirklichen Philosophen halten nicht viel von der Amateurphilosophie der Fachwissenschaftler; noch mehr lehnen sie eine Usurpation der gesamten Philosophie durch Physiker, Mathematiker usw. ab. Heidegger (1970): «Die Wissenschaft denkt nicht. . . das bedeutet, sie bewegt sich nicht in der Dimension der Philosophie. Sie ist aber, ohne daß sie es weiß, auf diese Dimension angewiesen.» Die Fachgelehrten würden es sich ja gleichfalls verbitten, wenn ihnen Leute ohne Fachwissen in ihre wissenschaftlichen Theorien hineinreden wollten.

Die Mathematik kann Vorhandenes zählen und berechnen, aber sie kann nichts schaffen, was noch nicht vorhanden ist. Das hat die allerhöchste Mathematik mit dem Einmaleins gemeinsam. Die Mathematik denkt ihrem Wesen nach quantitativ und nicht qualitativ. Ihr Erkenntniswert ist auf ein bestimmtes, wenn auch wichtiges Gebiet begrenzt. Sie kann nur über das Wieviel und nicht über das Was eine Aussage machen. Die Behauptung, daß die Welt eine mathematische Struktur habe, geht bereits über die Mathematik hinaus.

Von mathematischen Systemen wird nichts verlangt als innere logische Konsistenz unter dem Gesichtspunkt bestimmter Axiome; solche Konstruktionen sind ohne Bezugnahme auf irgendeine Wirklichkeit möglich. Die imaginären Geometrien sind in sich geschlossen. Damit ist aber nichts über ihre Beziehung zur Realität gesagt. Sie übersteigen jede mögliche Erfahrung. Ihre Unanschaulichkeit, in der die Relativitätstheoretiker einen Vorzug erblicken, sperrt ihnen den Weg in die Wirklichkeit. (Lipsius 1927: «Ein unvorstellbarer Raum ist auch undenkbar.») Geometrie ist nach Kant wohl eine geistige Konstruktion, aber im Sinne reiner Anschauung. Sie ist daher ihrem Wesen nach anschaulich und mit der Wirklichkeit verbunden. Die Suche einiger Astronomen nach dem krummen Raum in der Tiefe des Weltalls ist aussichtslos; nie wird jemand einen krummen Raum schauen.

Als Gegenstück zu dem Relativistenspruch «Jedem Nichtmathematiker ist der Eintritt verwehrt» schlug Vogtherr (1923) den Satz vor: «Jedem Nurmathematiker ist der Austritt aus dem Gehäuse seiner Spekulationen in die wirkliche Welt physikalischen Geschehens verwehrt.»

Es gibt nicht nur mathematische Ordnungsformen. Die rein qualitative Betrachtung gibt ein unvollständiges Wissen; die rein mathematische Betrachtung gibt überhaupt kein Wissen, außer von sich selbst. Die Physik, auch die mathematische, ist nicht nur Mathematik, sondern hat mit realen Dingen mit bestimmten Eigenschaften zu tun. Die mathematische Physik (H. Driesch 1930) steht im Dienst der eigentlichen Physik und kann sich nicht selbständig machen. Ihre Rolle ist eine dienende, nicht eine herrschende. Die Mathematik untersucht Zusammenhänge, nicht Dinge. Die Zusammenhänge müssen vorher gegeben sein. Driesch: «Die Philosophie ist nicht die Magd der Mathematik und irgendwelcher modischer Theorien. Über Wesensmöglichkeiten hat nur die Philosophie als Wesenslehre zu entscheiden.» Die Relativitätstheorie stellt übertriebene Forderungen nach Invarianz unter qualitativ veränderten Umständen. «Mathematische Lösungen sind nur Scheinlösungen, wenn sie die Grenzen des realontologisch Erlaubten überschreiten.»

Mohorovicic, Professor der Physik an der kroatischen Universität Zagreb, schrieb (1931): «Die Einsteinsche Relativitätstheorie ist nur ein Glied in der Reihe der vielen rein spekulativen, mathematisch-metaphysischen Theorien.» Die Relativitätstheorie «verzichtet auf jede physikalische Erklärung; der Charakter dieser Theorie ist rein formalistisch-phänomenalistisch ohne Rücksicht auf die Wirklichkeit.»

Der Naturphilosoph H. Dingler sprach von «in der Physik dilettierenden Mathematikern» und verwies mit vielen anderen Kritikern darauf, daß mathematische Operationen die Wirklichkeit nicht verändern können.

Schärfer äußerte sich Reuterdahl (1931), Professor in St. Louis: «Einstein verallgemeinert, bis jede Spur einer Realität fortgefegt ist, und wirbelt einen mathematischen Staub auf, der seine Leser blind macht.»

(Dr. Walter Theimer)