22. Mai 2008
Wie frei ist die Wissenschaft?
Nachstehend Auszüge aus der Dokumentation der Offenen Akademie (4. Offene Akademie 2007 – 29. September bis 6. Oktober 2007) über die Podiumsdiskussion „Wie frei ist die Wissenschaft?„:
Forschung und Lehre gelten nach Artikel 5 des Grundgesetzes als frei. Kann dieser Paragraph gewährleisten, dass die Hochschulen in der Lage sind, frei von mächtigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einflüssen und Abhängigkeiten unabhängige Wahrheitssuche zu betreiben? Oder ist die stärkere Verknüpfung des Wissenschaftsbetriebs mit den Bedürfnissen der kapitalistischen Wirtschaftspraxis nicht längst zum politischen Programm geworden?
Über diese Fragen diskutierten Prof. Dr. Josef Lutz (Lehrstuhl an der Universität Chemnitz im Bereich Leistungselektronik), Prof. Dr. Frentzel-Beyme (Arzt und Sozialmediziner an der Universität Bremen), Prof. Dr. Inge Schmitz-Feuerhake (ehem. Lehrstuhl für Experimentelle Physik an der Universität Bremen) und Stefan Engel (Publizist aus Gelsenkirchen). Die souveräne Moderation der Veranstaltung übernahm der Geologe und Paläontologe Prof. Dr. Jürgen Schneider von der Universität Göttingen.
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So vielfältig und unterschiedlich die Erfahrungen der Diskussionsteilnehmer mit dem herrschenden Wissenschafts- und Forschungsbetrieb auch waren, lassen sie doch nur einen Schluss zu: Die Freiheit der Wissenschaft ist ein hehres Ziel, aber in unserer Gesellschaft eine Fiktion. Hochschulen und Forschungs-einrichtungen sind keine separaten Einrichtungen, keine Inseln, die sich vom gesellschaftlichen Umfeld abkoppeln lassen. Lehrende und Forschende sind von Geldgebern abhängig und mehr oder weniger gezwungen, sich an deren Vorgaben zu halten. Freiräume, die ein Universitätsprofessor möglicherweise heute noch hat, kann und soll er im Sinne gesellschaftlicher Verantwortung nutzen, indem er z.B. sein Wissen und seine Möglichkeiten zur Verfügung stellt. Doch als Wissenschaftler darf man sich keinen Illusionen hingeben: Wenn die Forschungsergebnisse in Widerspruch zu wirtschaftlichen Interessen geraten, werden sie entweder mit Bestechungsversuchen umschmeichelt oder – wenn das nicht fruchtet – mit Repressalien belegt, was bis zur Gefährdung von Leib und Leben führen kann.Die Ausbildung an den Hochschulen hat nicht das Ziel, Studenten zum selbständigen Denken zu erziehen. Stattdessen sollen sie sich als künftige Führungspersönlichkeiten möglichst nahtlos in das gesellschaftliche System integrieren, wozu eine kritische Auseinandersetzung mit Lehrinhalten und ihrer Anwendung tunlichst vermieden werden muss.
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Eine freie Wissenschaft kann es geben, wenn sie sich befreit von den Sachzwängen gesellschaftlicher Vorgaben – so wie das in engen Grenzen bei der Offenen Akademie geschieht. Der Kampf um die Freiheit der Wissenschaft muss Bestandteil des Kampfs um eine befreite Gesellschaft werden.(Offene Akademie – Perspektiven fortschrittlicher
und kritischer Wissenschaft und Kultur)