21. März 2008
Helmut Hille: Der Humanfaktor in der Wissenschaft
Ein Vortrag von Helmut Hille anlässlich der 72. Jahrestagung der DPG / Universität Freiburg (im Breisgau) Referat vor dem Arbeitskreis Philosophie der Physik (AK Phil) am 5. März 2008:
Der Humanfaktor in der Wissenschaft
Nachstehend einige Auszüge:
In seiner „Italienischen Reise“ finden wir folgende Bemerkung Goethes über das Verhältnis von Mensch und Wissenschaft: „Kommt man tiefer in die Sache, so sieht man, wie eigentlich das Subjektive auch in den Wissenschaften waltet, und man prosperiert nicht eher, bis man anfängt, sich selbst und seinen Charakter kennen zu lernen.“ Leider kümmern sich Naturwissenschaftler jedoch nur wenig um die menschliche Komponente allen Forschens.
[…]
Das Subjektive, das wir heute betrachten wollen, beginnt ja schon mit dem Ehrgeiz und der Eitelkeit von Menschen, gerade auch in der Wissenschaft, in der es um viel Ruhm und Geld geht. So menschelt es in ihr ungeheuer. „Betrug in der Wissenschaft ist etwa so alt wie die Forschung selbst. Schon der Astronom Ptolemäus fälschte Beobachtungen oder übernahm Daten von Hipparchos. Auch Isaac Newton soll den Beweis des allgemeinen Gravitationsgesetzes von einem Kollegen ‚geklaut‘ haben.“ Ich gebe zu, dass dies der Auszug aus einer dpa-Meldung ist, die ich mal ausgeschnitten hatte. Der allen DPG-Mitgliedern bekannte Verlag WILEY-VCH hat 2003 das Buch von Heinrich Zankl „Fälscher, Schwindler, Scharlatane. Betrug in Forschung und Wissenschaft“ verlegt. Und es gibt noch mehrere solcher Bücher. Trotzdem denke ich, dass sie vielleicht nur sie Spitze des Eisbergs zeigen. Die schlimmeren hat man entweder noch nicht entdeckt oder wagt sie nicht auszusprechen in der berechtigten Sorge, dass dann die ganze Wissenschaft mit ihrem Geldhunger und ihren großen Versprechungen in Misskredit gerät.
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Menschen sind selbstreferentielle Systeme, was man wissen muss. Auf dieser Selbstreferenz beruht unser Verstehen, weshalb mit ihr sorgfältig umzugehen ist, will man nicht den Boden unter den Füßen verlieren. Aspekte, physikalische Größen und ihre Einheiten sind und bleiben daher etwas Mentales, von Geist Gesetztes, die aller Messung vorausgehen. Wenn wir durch Verinnerlichung dieser unaufhebbaren Situation – ich betone: dieser unaufhebbaren Situation, die keine Theorie der Welt aus der Welt schaffen kann – mental erwachsen werden, verschwinden zugleich viele Probleme heutiger Physik, denn Probleme in der Wissenschaft sind zu allererst Folgen eines an den Gegenstand der Forschung unangepassten Denkens und Sprechens. Die Aufklärung der Beobachterrolle und eine sachlich zutreffende Sprache wird in Zukunft mehr echtes Wissen bringen, als alles weitere Herumforschen aufgrund ungeklärter Begriffe. Und sie wird helfen, die Rolle des Menschen in der Welt besser zu verstehen und sein Verantwortungs-
bewusstsein in jeder Hinsicht zu stärken, was ganz allgemein jedermanns größtes Anliegen sein sollte.(Helmut Hille)