Blog – Jocelyne Lopez

Albert Einstein: Es ist im Interesse der Wissenschaft nötig, dass Kritik geübt wird

Albert Einstein hat 1953 ein Vorwort in deutscher Sprache zu einem kritischen Buch von  Max Jammer geschrieben:

Concepts of space
Max Jammer
Harvard University Press, Cambridge/USA, 1954
Deutsche Fassung: Das Problem des Raumes
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1960

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Nachstehend Auszüge aus diesem Vorwort von Albert Einstein:

Um die Wichtigkeit solcher Untersuchungen wie die hier vorliegende von Dr. Jammer wirklich voll zu würdigen, mag man sich Folgendes vor Augen halten. Die Augen des Wissenschaftlers sind auf die der Beobachtung zugänglichen Phänomene und auf deren begriffliche Erfassung gerichtet. Bei dem Streben nach begrifflicher Erfassung der schier unübersehbaren Masse des Erfahrungsmaterials bedient er sich eines Arsenals von Begriffen, die er sozusagen mit der Muttermilch eingesogen hat, und deren ewig problematischen Charakters er sich nicht oder nur selten bewußt wird. Er verwendet dieses begriffliche Material oder – besser gesagt – diese begrifflichen Werkzeuge wie etwas unverrückbar und selbstverständlich Gegebenes, an dessen objektivem Wahrheitswert er meist gar nicht oder doch nicht im Ernst zweifelt. Wie könnte er anders? Wie würde eine Bergbesteigung möglich sein, wenn der Gebrauch von Händen, Beinen und Werkzeugen Schritt für Schritt erst aufgrund der wissenschaftlichen Mechanik sanktioniert werden müßte? Und doch ist es im Interesse der Wissenschaft nötig, daß immer wieder an diesen fundamentalen Begriffen Kritik geübt wird, damit wir nicht unwissentlich von ihnen beherrscht werden. Dies wird besonders deutlich in Situationen der Entwicklung, in denen der konsequente Gebrauch der überlieferten fundamentalen Begriffe uns zu schwer auflösbaren Paradoxien führt.

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Diese auch als selbstkritisch zu erkennenden Äußerungen Einsteins am Ende seines Lebens sind in Bezug auf andere Äußerungen und Unsicherheiten Einsteins aus dem Jahre 1949 über die Gültigkeit seiner Theorie anzusehen, die u.a. im Buch von Karl Brinkmann „Zu Zeit und Raum“ (Johannes Berchmanns Verlag, Augsburg) zitiert wurden:

„In einem Brief an seinen Freund Solovine aus dem Jahre 1949 (veröffentlicht unter „Lettres à Maurice Solovine„, Paris 1956, S. 94) hat er ein bemerkenswertes Eingeständnis gemacht, indem er schrieb:

„ … Sie stellen es sich so vor, dass ich mit stiller Befriedigung auf ein Lebenswerk zurückschaue. Aber es ist ganz anders von der Nähe gesehen. Da ist kein einziger Begriff, von dem ich überzeugt wäre, dass er standhalten wird, und ich fühle mich unsicher, ob ich überhaupt auf dem rechten Wege bin….

Diese Äußerung Einsteins ist sicher nicht allein als bloße Bescheidenheit zu beurteilen, sondern mehr als ein kritisches wie ehrliches Bekenntnis zur Möglichkeit der Unrichtigkeit seiner Lehre.“

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Siehe: Vorwort von Albert Einstein zum Buch „Das Problem des Raumes“ von Max Jammer