5. Juli 2012
Der Hirnforscher Wolf Singer wehrt sich gegen den Tierschutz als Staatsziel
Noch 1999 setze sich der Hirnforscher und berüchtigte Tierexperimentator Wolf Singer in einem Dialog mit Prof. Leo Montada gegen eine Novellierung des Tierschutzgesetzes zur Wehr, pochte auf ein Scheitern der Aufnahme des Tierschutzes in der Verfassung als Staatsziel und zeigte sich äußerst selbstsicher, dass er seine Forschungsmethoden in der Grundlagenforschung bis zum Verfassungsgericht mit Erfolg verteidigen wird, siehe Wolf Singer und Leo Montada: POLEMIK ODER DISKURS:
Zitat Prof. Wolf Singer:
[…] Das birgt potentielle Probleme, wenn Tierversuchsgegner diese Novellierung für ihre Zwecke nutzen und über den Klageweg wissenschaftliche Arbeit behindern werden. Wir haben ja bereits ein sehr strenges Tierschutzgesetz, das erst vor kurzem novelliert worden ist. Es erzeugt zwar enorm viel Bürokratie und ist ein Mißtrauensvotum der Gesellschaft uns gegenüber, diskriminiert uns auch gegenüber anderen Tiernutzern, weil die für das Töten von Tieren viel weniger Rechtfertigungszwang haben, aber wir können damit leben. Das Problem mit der Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel ins Grundgesetz ist, daß es dann neben dem Artikel 5 ‚Forschung und Wissenschaft sind frei‘, einen weiteren Artikel im Grundgesetz gibt, der sich speziell mit der Schutzbedürftigkeit der Tiere befaßt und der, falls er nun kommen sollte, gegen den Artikel 5 gerichtswirksam ausgespielt werden kann. Sollte der Tierschutz Verfassungsrang bekommen, muß der Richter zwei Rechtsgüter gegeneinander abwägen.
Wir werden sicher auch dann Musterprozesse gewinnen, weil die Schutzbedürfnisse des Menschen höherrangig sind als der Schutz der Tiere, wenn denn der Nachweis gelingt, daß das, was die Grundlagenforscher machen, letztlich Leid für Menschen verringert. Wovor wir jetzt schon Angst haben, sind die einstweiligen Verfügungen, die je nach Gutdünken der Richter unsere Arbeit über Jahre lahmlegen können, bis wir beim Verfassungsgericht gelandet sind und dort wohl gewinnen werden. Aber das kann doch erheblich viel Sand ins Getriebe streuen, und das ist das erklärte Ziel der Tierschutzverbände. Sie haben das auch so formuliert. […]
Der Gesetzgeber hat wohl einen Strich durch seine Rechnung gezogen: 2002 wurde doch die Novellierung zum verstärkten Schutz der Tiere vorgenommen: Der Tierschutz hat Verfassungsrang erhalten und wurde als Staatziel erklärt.
Der Gesetzgeber hat sich wohl hier von tiefgreifenden Änderungen in der emotionellen, wissenschaftlichen und ethischen Haltung der Mehrheit der Bürger im Zusammenhang mit ihrer Verantwortung gegenüber Tieren leiten lassen, wie Prof. Montada es auch in diesem Dialog darstellt:
Zitat Prof. Leo Montada:
[…] Forschungsfreiheit im Sinne, daß alle forschen dürfen, wie sie wollen, was sie wollen und an wem sie wollen, besteht auch bisher nicht. Es sind zwar bisher Klagen von Tierschützern abgewiesen worden mit Verweis auf die Forschungsfreiheit, aber diese Urteile sind nicht auf Dauer bindend. Tierschutz ist zu einem ethischen Anliegen geworden. Die anthropozentrische Ethik wird immer häufiger kritisiert, eine Tierethik, auch eine Ökosystem Ethik wird propagiert. Auch wenn, wie Jürgen Mittelstraß kürzlich konstatierte, die rationale Begründung fehlt oder die Begründung angreifbar ist: Die neuen Ethiken gewinnen an Zustimmung. Die Rechte der Tiere auf Achtung ihrer Würde, auf Entfaltung ihrer natürlichen Anlagen, artgerechte Umwelt, Freiheit von (vermeidbarem) Leid haben Eingang in das Tierschutzgesetz gefunden. Und die Verantwortung des Menschen für Tiere ist als Pflicht formuliert. Als Konsequenz ist eine weitere Beschränkung der Freiheitsrechte der Forscher zu erwarten, es sei denn, es werden weitere ethische Rechtfertigungen für den Vorrang der Forschungsfreiheit vor den Tierrechten vorgebracht. Ethischen Argumenten kann man nur mit ethischen Argumenten begegnen.
Schon in Berlin und München hat diese Novellierung Auswirkung gezeigt: Ähnliche Primatenversuche in der Grundlagenforschung, wie Wolf Singer sie seit Jahrzehnten durchführt, wurden von den bisher genehmigenden Behörden untersagt.
Auch „Musterprozesse“ wurden inzwischen nicht „sicher gewonnen“, wie Wolf Singer es 1999 angekündigt hat: Die Primatenversuche seines Schülers Andreas Kreiter in Bremen wurden z.B. sowohl von der Volksvertretung (Bremer Senat), als auch von der genehmigenden Behörden und von der Gerichtsbarkeit untersagt, siehe: Der Fall Bremen.
Wolf Singer ist entschlossen, seine eigenen ethischen Vorstellungen, seine eigenen wissenschaftlichen Thesen und seine Forschungsmethoden bis vor den Verfassungsrichtern zu verteidigen und dabei zu gewinnen. Wir auch.
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Siehe komplette, aktuelle Zusammenstellung der Auseinandersetzungen mit Behörden:
Verdacht auf Verstoß gegen das Grundgesetz der Tierexperimente von Prof. Dr. Wolf Singer: Auseinandersetzungen mit Behörden
Primatenversuche in Bremen: Andreas Kreiter macht eiskalt weiter
[…] verweise auf meinen Blog-Eintrag Der Hirnforscher Wolf Singer wehrt sich gegen den Tierschutz als Staatsziel und gebe einige Austausche aus dem Forum „Zeitwort“ […]